«Es ist gut, dass endlich Transparenz herrscht in Schweizer Spitälern und Kliniken»
Im Schweizer Gesundheitswesen werden endlich einheitliche, vergleichbare Daten zur Behandlungsqualität erhoben. Dafür zeichnet der Verein ANQ verantwortlich, der diese Messungen koordiniert und durchführt. Geschäftsführerin Dr. Petra Busch über Chancen und Grenzen der Datenauswertung.
Frau Busch, der ANQ ist so etwas wie die nationale Institution für Qualitätsmessungen im Schweizer Gesundheitswesen. Wie steht es um dessen Qualität?
Diese Frage ist so einfach nicht zu beantworten. Einen übergeordneten Qualitätsindikator gibt es nicht. Mit unseren Messungen betrachten wir immer nur klar definierte Ausschnitte des grossen Ganzen.
Sie erheben also beispielsweise die Patientenzufriedenheit, die Infektionsrate nach Operationen oder die Anzahl Stürze in einzelnen Kliniken und Spitälern.
Genau. Und wenn, dann lassen sich nur über diese einzelnen Indikatoren Aussagen treffen. Wir können nationale und internationale Vergleiche ziehen oder beobachten, wie sich diese Indikatoren mit der Zeit verändern.
Bei welchen Indikatoren sticht die Schweiz international heraus?
Im Bereich der Wundinfektionen und der Stürze besteht im internationalen Vergleich sicherlich noch Verbesserungspotenzial. Bei den Wundinfekten sind die Daten allerdings schwieriger zu interpretieren, weil sich die Messmethoden in der Schweiz von jenen im Ausland unterscheiden.
Kann man aus der Gesamtheit dieser Indikatoren keine allgemeine Aussage treffen?
Sagen wir es so: Es ist gut, dass endlich Transparenz herrscht, was die Qualität in Schweizer Spitälern und Kliniken betrifft. Im Schweizer Gesundheitswesen wird seit
Sind die Spitäler und Kliniken gesetzlich verpflichtet, Qualitätserhebungen durchzuführen?
Ja, das schreibt das Krankenversicherungsgesetz vor. Über die konkreten Inhalte sowie deren Umsetzung wurde lange debattiert. 2011 sind aber fast alle Spitäler und Kliniken sowie alle Kantone und Versicherer dem nationalen Qualitätsvertrag beigetreten, der Rechte und Pflichten der Beteiligten regelt – eine Pionierleistung.
Was ist das Ziel der Messungen?
Unsere Daten – gleich wie jene des BAG übrigens, welches seit 2012 ebenfalls Qualitätsmessungen durchführt – sollen den Spitälern und Kliniken Grundlagen liefern, um Verbesserungsmassnahmen zu ergreifen. Sie dienen aber auch den Kantonen und Versicherern als Informationsquelle, um mit den Leistungserbringern in einen Dialog zu treten. Wenn man zum Beispiel sieht, dass ein Indikator in einer Institution über mehrere Jahre problematische Werte zeigt, so haben die Kantone und Versicherer die Möglichkeit, fundiert mit dem betroffenen Spital darüber zu diskutieren.
Auch die Patientinnen und Patienten profitieren von den Daten, die der ANQ erhebt. Sie fliessen etwa in die Vergleichsplattform QualiCheck der CSS ein, die bei der Spitalwahl hilft.
Grundsätzlich begrüssen wir es, wenn sich auch Patientinnen und Patienten vermehrt mit den Ergebnissen der Qualitätsmessungen auseinandersetzen, um so eine ergänzende Entscheidungsgrundlage bei der Spitalwahl zu haben. Die Vergleichsplattformen betrachten wir hingegen mit einer gewissen Skepsis, da einzelne Anbieter die Daten sehr stark vereinfachen und irreführende Vergleiche anstellen. Das kann bei den Patientinnen und Patienten zu Fehlschlüssen führen.
Über CSS QualiCheck
Mit der Online-Vergleichsplattform QualiCheck haben Kundinnen und Kunden der CSS die Möglichkeit, sich umfassend über verschiedene Qualitätsindikatoren in den Spitälern zu erkundigen und diese zu vergleichen. So wird die Entscheidungsgrundlage bei der Spitalwahl erheblich verbessert. Gleichzeitig leistet QualiCheck einen wichtigen Beitrag zur Steigerung der Qualität von medizinischen Leistungen in Schweizer Spitälern.
Der statutarische Zweck Ihres Vereins sieht aber vor, dass mit den Daten auch ein nationaler Vergleich realisiert werden kann. Was stört Sie daran?
Die Daten sollen Spitälern und Kliniken die Möglichkeit geben, sich mit anderen Leistungserbringern zu vergleichen, sowie den Dialog zwischen diesen und den Kostenträgern zu fördern. Ranglisten und Ampelsysteme sollte man daraus jedoch nicht ableiten. Ich bin der Meinung, dass sich das Gut Gesundheit heute noch immer derart komplex präsentiert, dass Patientinnen und Patienten auf die Meinung von Experten angewiesen sind, um eine Entscheidung fällen zu können.
Viele Menschen machen aber auch die Erfahrung, dass die Empfehlung des Experten oft nicht besser ist als ein Entscheid, den sie selbst fällen, etwa mit Unterstützung eines Online-Tools zum Spitalvergleich.
Darüber kann man trefflich streiten. Studien aus den USA haben gezeigt, dass die meisten Patientinnen und Patienten auch dann eher der Empfehlung eines Experten folgen, wenn hohe Transparenz in Bezug auf die Behandlungsqualität herrscht. Sprich: Sie lassen sich dort operieren, wo es der Hausarzt empfiehlt. Oder noch häufiger: Dort, wo es am nächsten ist.
Gleichzeitig werden die technischen Hilfsmittel immer besser. QualiCheck bietet die Möglichkeit, spezifische Eingriffe in verschiedenen Spitälern in Bezug auf mehrere Indikatoren zu vergleichen. Das verbessert die Entscheidungsgrundlage erheblich.
Wie gesagt: Als Grundlage für eine weiterführende Recherche kann das auch für Patientinnen und Patienten sinnvoll sein. Aber die Daten sind in der Regel zu stark vereinfacht. Beispielsweise ist das Auftreten von Wundinfektionen nicht gleichzusetzen mit dem Ergebnis einer Operation: Es kann sein, dass das Ergebnis der Operation für den Patienten und seine Lebensqualität ein voller Erfolg war, obwohl eine Wundinfektion aufgetreten ist. Konsultiert man nur die Zahlen, sind Fehlinterpretationen unvermeidbar.
Hat es auch damit zu tun, dass die erhobenen Daten zu wenig detailliert sind? Würden die Spitäler und Kliniken zum Beispiel Fallzahlen nach Ärzten ausweisen, wäre eine aussagekräftigere Beurteilung möglich. Aber dagegen wehrt man sich.
Es liegt weniger an den Spitälern als an der Ärzteschaft selbst, bei der oft die nötige Kooperationsbereitschaft vermisst wird. Hier muss tatsächlich ein Umdenken stattfinden. Viele Ärztinnen und Ärzte stellen das Berufsethos über die Notwendigkeit einer transparenten Darlegung der Behandlungsqualität. Das Bewusstsein für die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit von Qualitätsmessungen müsste man möglichst schon in der Ausbildung stärken.
Wo würden Sie ganz grundsätzlich ansetzen, um die Qualität im Schweizer Gesundheitswesen zu verbessern?
Ich würde versuchen, noch bessere Anreizsysteme zu schaffen für Leistungserbringer, die gute Arbeit leisten und sich weiter verbessern wollen. Es gilt, gutes Verhalten zu belohnen, anstatt schlechtes Verhalten zu sanktionieren.
Was würden Sie anpacken, um die Kostenseite in den Griff zu bekommen?
Auch wenn auf allen Seiten ethische Grundsätze unterzeichnet werden, ist es ein Fakt, dass unnötige Leistungen verrechnet und überteuerte Medikamente verschrieben werden. In diesen Bereichen liegt viel Potenzial brach.
Nehmen Sie auch die Patientinnen und Patienten in die Pflicht?
Absolut, ja. Wir lassen uns oftmals vom Moral-Hazard-Prinzip leiten: Ich zahle viel, also will ich die maximale Leistung. Auch liegt ein grosses Potenzial für Veränderung darin, dass wir dem Zusammenhang von Prävention und Gesundheit mehr Aufmerksamkeit schenken oder bei leichten Erkrankungen nicht gleich die Notfall-Infrastruktur von Spitälern in Anspruch nehmen. Vielen fehlt in der heutigen Leistungsgesellschaft vielleicht auch schlicht das Interesse an der eigenen Gesundheit. Aber ich bin optimistisch, dass bei uns allen schon bald ein Bewusstseinswandel einsetzt, weil wir immer mehr und auf verschiedenen Ebenen an unsere Belastungsgrenzen stossen.
Über den ANQ
Der Nationale Verein für Qualitätsentwicklung in Spitälern und Kliniken (ANQ) koordiniert und realisiert Qualitätsmessungen in der Akutsomatik, der Rehabilitation und der Psychiatrie. Mitglieder des Vereins sind der Spitalverband H+, santésuisse, die Eidgenössischen Sozialversicherer, die Kantone und die Schweizerische Gesundheitsdirektorenkonferenz. Der Verein arbeitet nicht gewinnorientiert.